In den letzten Jahren durfte ich Wildpferden oder sehr frei lebenden Pferden an vielen Orten der Welt begegnen. Mir ging es weniger darum, sie zu beobachten. Ich habe die Begegnung gesucht. Als Mensch Verbindung zu Pferden zu finden ist meine tägliche Arbeit. Aber was ist anders an der Begegnung mit Wildpferden? Und wie ist es möglich einem vollkommen frei lebenden Pferd zu begegnen?
Eine Begegnung in vollkommener Absichtslosigkeit
Das Wichtigste, das ich fand war, dass wir ein vollkommen absichtsloses Bewusstsein brauchen, um das Vertrauen dieser Pferde zu finden. Dazu möchte ich eine Geschichte erzählen, die ich mit einer Seminargruppe in Italien erleben durfte.
Die Giara von Sardinien
In Sardinien leben auf der Hochebene Giara ungefähr 1500 Wildpferde. Niemand weiß, wie und wann sie dort hingekommen sind. Sie leben zerstreut in einem ausgedehnten Gebiet von Seen und Korkeichenwäldern. Es sind kleine, zierliche Pferde, die meisten sind schwarz. Man kann durch diese Hochebene laufen und sie beobachten. Wenn man sich annähert, laufen sie weg. Mir fiel auf, dass sie auf Energie reagieren wie unsere domestizierten Pferde, jedoch viel feiner. Sie reagierten auf die Energie unserer mentalen Absicht. Wenn wir uns mit der Absicht näherten, ihnen zu begegnen, war das zu bedrohlich für sie und sie flohen. Wir waren eine Gruppe von 12 Personen. Das ist viel Energie und viel Absicht in der Wahrnehmung eines Wildpferdes. Ich suchte einen Weg, unsere geistige Haltung nachhaltig zu verändern. Wir ließen uns auf einem Areal nieder, wo der Boden mit großen Steinen bedeckt war. Eine Herde von 6 oder 7 Pferden graste in einigem Abstand, sie blickten auf, ließen uns gewähren und grasten weiter.
Es braucht eine sehr klare Selbstwahrnehmung
Ich lud die Teilnehmer der Gruppe ein, sich auf einem der großen Steine hinzulegen. Dann führte ich sie in einer Meditation in das Wesen der Steine. Die Millionen Jahre alte Energie der Steine kann uns, wenn wir uns darauf einlassen, in eine innere Leere führen, die uns als Menschen nicht leicht zugänglich ist. Als wir die Augen wieder öffneten, waren die Pferde verschwunden. Weil wir jedoch so absichtslos und urteilslos geworden waren, fühlten wir keine Enttäuschung. Kurz darauf kam die Herde aus dem Gebüsch und bewegte sich auf uns zu.
Dieser Augenblick hat sich nachhaltig in meine Erinnerung eingebrannt. Er hat meine Sicht auf viele Dinge verändert. Vor allem hat er mich sehr berührt. Es war deutlich zu spüren, dass diese Pferde wegen uns und zu uns kamen. Wir waren nicht mehr bedrohlich für sie. Wir wollten nichts von ihnen, wir erwarteten nichts. Das gab ihnen die Freiheit, ihrem natürlichen Verhalten zu folgen, nämlich Nähe und Verbindung zu suchen. Denn in der Verbindung sind wir geschützt. Dann sind wir Teil des großen Ganzen.
Das ist für mich ein Schlüssel auch für das Verhalten gegenüber den Pferden, die mit uns leben. Wenn wir den Druck der Erwartung zurück nehmen, können sie auf uns zukommen. Dann wollen sie auf uns zukommen, denn das ist ein sicherer Ort für sie.
Die Pferde sprechen sehr leise
Wildpferde sprechen noch leiser als Pferde, die an Menschen gewöhnt sind. Im Alltag fangen wir oft intuitiv etwas auf und tun es dann ab. Wir sagen uns, es ist nur eine Einbildung. Als die Herde in der Giara auf uns zukam, hätte ich es leicht abtun können als eine zufällige Begegnung. Ich hätte mir sagen können, sie kommen nur wegen der Kräuter, die an einer bestimmten Stelle wachsen oder aus einem anderen Grund, den ich nicht kenne. Wenn man aber die Energie sehr fein wahrnimmt, dann spürt man genau, welche Richtung sie hat. Denn erkennt man, dass alles sich in einem energetischen Netz bewegt, das Verbindung sucht.
Wir sind es gewohnt klare Aussagen zu machen, die auf sichtbaren, überprüfbaren Fakten beruhen. In der Natur geht es nicht um Fakten, sondern um Teilnahme. In der Natur reagiert alles in Verbindung zueinander. Wir können uns nicht als Beobachter herausnehmen und hoffen, dass wir überprüfbare Fakten finden. Die Natur fordert uns auf, ein Teil zu sein und zu etwas Ja zu sagen, von dem wir fühlen, dass es wahr ist, auch wenn unser Verstand keine Beweise hat. Das Wesen der Wildpferde finden wir nur, wenn wir drinnen sind in ihrem Netz der Verbindung und nicht draußen. Wenn wir aufhören, Beobachter zu sein und stattdessen teilnehmen.
Verbindung finden wir in der Gegenwart
Wenn wir Teilnehmer sind und im Netz der Verbindung handeln, widerspricht das nicht der Absichtslosigkeit? Nein. In der Leere finden wir zugleich die größte Fülle. Aber diese Fülle, diese Wahrnehmung kommt aus der Präsenz, aus der Wahrnehmung der Gegenwart, nicht aus einem gedanklichen Konstrukt. In der Absichtslosigkeit ist alles möglich und doch geschieht etwas ganz Präzises. Die Pferde antworten sehr präzise auf unsere Präsenz und unser Bewusstsein. Wenn sie offen sind für die Verbindung, dann ist das eine Antwort auf unsere Offenheit. Wenn das geschieht, ist es sehr berührend. Wir spüren dann eine tiefe Wahrheit.
Wir suchen Beweise, die Natur aber gibt uns Hinweise
Die Natur berührt, indem sie eine Biene vorbeischickt, die auf unserer Hand sitzt und fragt: Hast du Angst? Glaubst du ich werde dir wehtun oder vertraust du mir? Als Nächstes schickt sie eine Eidechse, die in deinen Rucksack kriecht oder eine Katze, die an deinem Knöchel vorbeistreift. Für Außenstehende fällt das nicht weiter auf. Es geht in unserer gewohnten Wahrnehmung unter. Wenn du aber lernst wahrzunehmen, wie die Natur spricht, dann wirst du verstehen, dass hier nichts Zufall ist – und dass du ganz persönlich gemeint bist und dass du ganz persönlich unterrichtet wirst.
Die Wildnis zeigt uns, dass alles vernetzt ist und sich berührt
Die Wildpferde zeigen uns, dass wir in diesem Netz leben, dass sich das Netz über unseren Alltag spannt und über unsere ganze Lebensgeschichte und dass es nichts gibt, was nicht dazu gehört. Wenn wir das Netz bewusst wahrnehmen, werden wir immer mehr ein Teil davon und weben ganz bewusst mit. Dann entsteht ein großes Vertrauen ins Leben – und das ist es, was wir finden in der Natur und bei den Wildpferden.
In der Natur ist alles Schönheit, ob Leben oder Tod, ob Krankheit oder Gesundheit
Je ursprünglicher die Natur ist, desto reiner wird die Wirklichkeit, desto mehr sind wir dem Essentiellen ausgesetzt, manchmal schmerzlich, denn die Wahrheit schmerzt durch ihre Schönheit. In der Wahrheit, die wir in der Natur finden, an einem Ort, der nicht von Menschen gemacht ist, erleben wir, dass alles Schönheit ist, ob Leben oder Tod, Krankheit oder Gesundheit, Fülle oder Leere.
Die Wildpferde begegnen uns auf der Ebene der Seele
Den Ruf der Wildpferde fühlen wir in uns als einen Ruf der Seele. Was ist ein Ruf der Seele? Die Seele möchte ihren Weg gehen, aber wir hören sie nicht, ihre Zeichen und Hinweise gehen im Lärm des Alltags unter. Die Seele hört aber nicht auf zu rufen, sie sucht sich Wege und sie findet sie. Denn das ist die stärkste Kraft in unserem Leben: dem Weg unserer Seele zu folgen. Hier finden wir Liebe, hier finden wir unsere Aufgabe, hier finden wir unser Zuhause.
In der Wildnis, bei den Wildpferden hören wir den Ruf in seiner reinsten Form, klar und deutlich. Denn die Natur ist Seelenkraft und sie öffnet den Raum für unsere Seele, damit die Seele sprechen kann und damit wir sie hören können. Und die Wildnis antwortet auf unsere Seele. In der Natur kommunizieren beseelte Wesen miteinander und sie kommunizieren auf der Seelenebene.
Unsere Seele beginnt zu sprechen
Unsere Seele kommuniziert mit den Seelen aller Wesen. Wir hören sie. Wir verstehen sie. Wir erkennen sie. Und wir wissen sofort: Das ist es. Das ist richtig. Es gibt keinen Zweifel mehr. Die Seele sagt uns genau, was wir im Augenblick wissen müssen oder tun müssen. Wir müssen es uns nicht merken. Die Erinnerung bleibt und unser Leben wird sich daran ausrichten. Es wird kraftvoll werden, liebevoll und erfüllt.
Was ist anders an der Begegnung mit Wildpferden?
Die Wildpferde leben so weit entfernt von der menschlichen Zivilisation, dass sie die lebensfeindliche Energie unserer Zivilisation nicht in ihren Körpern und in ihrem Bewusstsein absorbiert haben. Das kann man spüren, wenn man in ihre Nähe kommt.
Man begegnet einer Liebe, die sich anders anfühlt als die Liebe, die wir aus unserer Menschenwelt kennen. Hier wurde mir bewusst, wie konditioniert meine Liebesgefühle sind. Die Liebe, die ich fühlte unter den Wildpferden, war so rein und pur, dass es schmerzte und zugleich war sie wunderschön. Und in jedem Augenblick wusste ich, dass dies keine Einbildung war, sondern wirklicher als das, was ich als „wirklich“ kenne.
Die Begegnung mit der reinen Liebe
In der Gegenwart der Wildpferde tauchten Gefühle auf, die ich lange vergessen hatte oder verdrängt. Jemand, den ich sehr liebte, der aber verstorben war, tauchte vor meinem inneren Auge auf und ich weinte, weil er mir so nahe war, als wäre er direkt neben mir. Und weil ich seine Liebe in einer Größe fühlen konnte, die ich nicht geahnt hatte. Jetzt konnte ich es fühlen.
Die Giara in Sardinien zeigte mir in einer schneidenden Klarheit, woran mein Herz wirklich hängt – und dass nichts wichtiger ist als dem zu folgen. Dass hier die Kraft liegt und dass ich hier, wie jedes Wesen, unterstützt werden vom Netz des Lebens.
Nach außen hin ist an dieser Begegnung zwischen Menschen und Wildpferden wenig Sichtbares. Nach außen hin könnten wir auch Touristen sein, die durch das Gelände laufen oder stehen oder sitzen. Die innere Haltung macht den ganzen Unterschied. Wenn man ein Teil wird von dem Energiefeld, das man dort antrifft, beginnt man es zu hören, zu fühlen, wahrzunehmen. Und was man wahrnimmt ist anders als alles Bekannte. Die Wildnis führt uns an einen anderen Ort in uns selbst, den wir noch nicht kennen. Sie öffnet unsere Herzen für die pure Wahrheit.
Ein Weg der Wahrheit
Durch die Begegnung mit Wildpferden oder sehr frei lebenden Pferden, wie sie mir seit einigen Jahren immer wieder geschenkt wird in Spanien, im Baskenland, in Schottland, in den Pyrenäen, in Sardinien oder in Jamaica, hat sich mein Leben immer mehr dahin gewandelt, dem Ruf der Freiheit zu folgen und nichts für unmöglich zu halten. Auf diesem Weg bin ich vielen Wundern begegnet, ich habe auch Enttäuschungen und Verletzungen erlebt, aber immer war es lebendig und wahr. Das erfüllt mich jeden Tag mit großer Dankbarkeit.
Das liebenswerte Dorf Tuili, am Fuß der Giara in Sardinien
Selbstschutz
Es ist nicht leicht sich an ein Tier anzunähern, das in der Wildnis lebt. Warum nicht? Weil es sich schützt. Es hat eine sehr feine Intuition dafür, wann es in Gefahr ist. Diese Wahrnehmung von Gefahr ist im Unterschied zu uns Menschen rein energetisch. Wir Menschen sind in unserer Angstwahrnehmung oft gesteuert von konditionierten Glaubenssätzen über das, was gefährlich ist oder nicht.
Eine gut funktionierende Angst-Intuition
Was ich von den Pferden gelernt habe, ist, dass wir alle eine sehr gut funktionierende Angst – Intuition haben. Wir haben nur nicht immer einen direkten Zugang dazu. Die direkteste Wahrnehmung von Angst haben wir durch unsere Körperwahrnehmung und unsere emotionale Wahrnehmung. Beide sind aber in unserer Kultur überlagert von der mentalen Wahrnehmung. Statt wahrzunehmen, was ist, nehmen wir wahr, was wir erwarten.
Unsere Glaubenssätze halten uns nicht nur davon ab, neue Erfahrungen zu machen, sondern sie machen uns auch blind für tatsächliche Gefahren.
Warum läuft ein Wildpferd vor mir davon, obwohl ich nicht gefährlich bin?
Eine gute Frage. Ein Wildpferd läuft davon vor der Tatsache, dass ich von konditionierten Glaubenssätzen gesteuert bin. Das tun unsere zivilisierten Pferde auch. Wildpferde sind hier jedoch noch sensibler. Was bedeutet das? Pferde reagieren sehr sensibel auf Inkongruenz, das heißt, darauf, dass ich (oft unbewusst) vorgebe etwas zu sein, was ich nicht bin oder dass ich etwas denke, ohne es zu fühlen. Da wir Menschen die meiste Zeit eher denken als fühlen, sind wir meistens inkongruent. In den Augen eines Pferdes ist das lebensbedrohlich. Bis wir die Gefahr in Handeln umgesetzt haben, ist es längst zu spät.
Neues zu lernen ist eine optimale Überlebensstrategie
Das Faszinierende an der Begegnung mit Wildpferden ist, dass wenn wir wahrnehmen, was ist, statt zu denken, was ist, dass sie dann recht schnell Vertrauen fassen. Das heißt, sie können das sehr gut unterscheiden. Genauso wie sie sich nicht unnötigen Gefahren aussetzen, haben sie auch den Mut, ihrer Neugier zu folgen und neue Erfahrungen zu machen, wenn ihre Intuition ihnen grünes Licht gibt. Denn auch das ist eine optimale Überlebensstrategie: Neues lernen, den Erfahrungshorizont erweitern: Das macht stark. Das drückt sich dann auch im Rang des Pferdes innerhalb der Herde aus.
Verbindung kann es nur geben, wenn der Selbstschutz funktioniert
Dies ist vielleicht die größte Lektion, die ich von Pferden immer wieder lerne: Nur wenn wir präsent sind und eine wache Wahrnehmung unserer Selbst haben, sind wir auch für andere berechenbar. Nur dann können andere Verbindung zu uns aufnehmen. Das gilt ganz besonders für Wildpferde. Diese Selbstwahrnehmung ist eine energetische Wahrnehmung, die wir nicht willentlich beeinflussen können, aber wir können sie wahrnehmen und unser Umfeld reagiert darauf unbewusst. Wir können uns in dieser Wahrnehmung üben. Dann können wir auch die konditionierten Glaubenssätze loslassen, die wir zum vermeintlichen Selbstschutz errichtet haben. Wir können sie ersetzen durch echten Selbstschutz. Dann finden wir auch die Verbindung mit anderen, die dadurch möglich ist. Das ist eine wunderschöne Erfahrung. Ganz besonders, wenn wir sie mit einem so puren, überlebensfähigen Wesen wie einem Wildpferd machen dürfen. Aber auch mit unseren Pferden, die ja selbst ein Wildpferd in sich haben.
Rückkehr in die Zivilisation
Wenn ich aus der Wildnis zurückkehre, erlebe ich die Zivilisation als großen Kontrast. Am liebsten würde ich dann umkehren. Ich sehe es aber als meine Aufgabe, zu lehren, was wir von der Wildnis lernen können. Deswegen lebe ich zwischen den beiden Welten. Wir können von den Wildpferden viel lernen über den Umgang mit unseren Pferden. Wir können lernen, bewusst umzugehen mit der Energie der Absichten, die wir ausstrahlen. Mit Pferden ist Klarheit wesentlich. Klarheit bedeutet aber nicht Druck oder Gewalt. Klarheit entsteht von selbst, wenn wir innerlich loslassen. Wenn wir absichtslos werden. Wir müssen Klarheit nicht erzeugen, wir müssen sie nur wahrnehmen und ihr folgen. Dann folgen uns auch die Pferde – mit Leichtigkeit. Denn es ist ihre und unsere Natur, dass wir uns verbinden.