Eine systemische Aufstellung mit Pferden
Viele von euch haben keine Ahnung, was sie sich denn unter einer systemischen Aufstellung mit Pferden vorstellen sollen oder was dabei passiert. Manche von euch haben schon diesbezüglich Erfahrungen gesammelt, können sich jedoch nicht vorstellen, warum ausgerechnet Pferde dabei hilfreich sein sollten.
Nirupa Susanne Krause und ich haben uns gemeinsam auf unser geplantes Seminar vorbereitet. Ich habe nun das, was mir in meiner Aufstellung und im Raum der Pferde begegnet ist, für euch in Worte gefasst und teile dies mit euch:
21. März – Frühlingsbeginn – Tag- und Nachtgleiche, auch Equinox genannt – Ostara – Vollmond – dieser Tag wurde auch zum Weltglückstag bestimmt. Mehr geht eigentlich nicht mehr, dachte ich …
Ein kraftvoller Tag und ein kraftvoller darauffolgender Morgen erwarteten mich. Nirupa und ich waren unterwegs zu ihren Pferden – zwei schwarzen Stuten – und wollten uns für unser gemeinsames Seminar zum Thema „Kriegsenkel“ vorbereiten. Wir hatten das Bedürfnis, uns selbst auch mit diesem Thema auseinanderzusetzen, zu erfahren, was denn der letzte Krieg auch nach den vielen friedvollen Jahrzehnten noch mit uns macht. Die Erfahrungen unser Vorfahren schwingen noch nach und beeinflussen unsere Lebenshaltung, unseren Blick aufs Leben und wie wir damit umgehen. Im kollektiven Familien-Unterbewusstsein sind diese traumatischen Erfahrungen abgespeichert und hindern uns daran, uns frei zu entfalten.
Auf der Reise zu Nirupa besuchte ich für ein paar Stunden meinen Onkel, um zusätzliche Informationen über meinen Opa zu bekommen. Die Erzählungen meiner Mutter waren, was seine Kriegsteilnahme betrifft, recht dürftig. Er war als Funker und Fahrer für Offiziere hauptsächlich in der Ukraine eingesetzt und hatte dort schlimme Dinge gesehen, die die SS mit der dort unerwünschten Bevölkerung getan hat. Zu schweigen war jedoch Eigenschutz und Schutz der Familie daheim, er war verheiratet und hatte vier Kinder. Mein Onkel – sein ältester Sohn – drückte es so aus:
„Wer will da schon gern Märtyrer spielen?“ Auch der Dorflehrer daheim warnte ihn:
„Sind‘s ruhig, sonst kommen‘s fort!“ Die Warnung war durchaus berechtigt, ein Nachbar kam nur wegen Feindsenderhören gleich für zwei Jahre ins Zuchthaus.
Nach dem Krieg kehrte mein Opa aus englischer Kriegsgefangenschaft heim. Gleichzeitig brachte er die Nachricht mit, dass sein jüngerer Bruder an den Folgen seiner Kriegsverletzung in einem Spital in Kopenhagen verstorben war. Keiner konnte sich recht über seine unversehrte Rückkehr freuen, die Nachricht vom Tod des Hoferben überdeckte alles.
Ich hatte mir schon seit einigen Jahren immer wieder Gedanken darüber gemacht, wie es denn kommt, dass es in meinem und im Leben meiner Cousins und Cousinen so auffällig viele und schmerzhafte Brüche in den Lebensbiografien gibt, die uns daran hindern, unsere Lebenskraft voll zu entfalten. Ich hatte sehr bald die Vermutung, dass mein Opa sozusagen der uns allen gemeinsame Nenner wäre. Ein Traum gab schließlich den Anstoß, mich näher damit zu befassen.
Im Traum saß ich im Zwielicht eines Wintertages am Waldrand und hielt ein Wolfsjunges im Arm. Ich wusste, ich war dafür verantwortlich, versorgte es. Das auftauchende Wolfsrudel umringte mich freundlich und beschützend. Plötzlich jedoch wandten sie sich warnend knurrend ab, die Stimmung wurde aggressiv. Ich hielt Ausschau nach der Ursache ihrer Unruhe und sah in einiger Entfernung einen einzelnen, einsamen Wolf. Er hielt sich abseits, starrte jedoch unentwegt zu mir und zum Rudel her. Ich beobachtete ihn eingehend und plötzlich wusste ich:
„Das ist mein Opa! Der möchte gesehen werden!“
Dieser Traum gab mir einigen Stoff zum Nachdenken. Dennoch fragte ich mich, was das denn mit mir zu tun hatte. Ein paar Wochen später bekam ich zu Weihnachten ein Buch geschenkt. „Kriegsenkel“ von Sabine Bode. Dieses Buch gab den entscheidenden Anstoß.
Nirupa und ich hatten uns schon im vergangenen Sommer darauf verständigt, gemeinsam ein Seminar anzubieten. Systemische und Familien-Aufstellungen sind ihr Spezialgebiet, beim Horse&Spirit Festival von Ulrike Dietmann hatte sie diese Aufstellungen gemeinsam mit Pferden erlebbar gemacht. Damals hatte ich noch keine Vorstellung davon, welches Thema denn passend für unsere Zusammenarbeit wäre. Als ich jedoch das Buch in Händen hielt, war mir sofort klar: das ist es!
Wir laden die Menschen ein, sich diesem Thema im Beisein meiner fünf Pferde zu nähern. Es sind Pferde, die Heilung für ihre eigenen traumatischen Erlebnisse erfahren haben und den Menschen diese Erfahrungen auf freiwilliger Basis zur Verfügung stellen.
Nun stand ich also mit Nirupa auf der Weide bei ihren Pferden. Pferde verfügen über einen großen Resonanzkörper. Dadurch spiegeln sie unsere Gefühle und Emotionen auf unvergleichliche Art und Weise, sie machen das sichtbar, was uns noch nicht bewusst ist. Eine weitere bemerkenswerte Fähigkeit ist, dass sie diese unsere Gefühle und Emotionen nicht bewerten. Sie drücken ihnen nicht den Stempel Gut oder Schlecht/Böse auf. Für Pferde sind Gefühle einfach nur Informationen.
Obwohl sie so deutlich im Hier und Jetzt leben, haben Pferde jederzeit Zugang zu ihrem und zum kollektiven Unterbewusstsein. In diesem Unterbewusstsein haben sie auch die kollektiven Erfahrungen der Pferdeahnen mit Krieg abgespeichert. Auf dieser Ebene des Unterbewusstseins können wir mit den Pferden kommunizieren, hier ‚sprechen‘ sie mit uns in Form von Bildern, Gefühlen, Gedanken oder Gewissheiten.
Wir hatten uns vorgenommen, die Weisheit der beiden Pferde Windschwester und ihrer Tochter Safira zu folgender Frage zu erbitten:
„Warum ist der Krieg noch nicht zu Ende? Was macht der (schon lange vergangene) Krieg noch heute mit mir?“
Ich suchte ‚meinen‘ Platz auf der riesigen Weide und fühlte mich dort in meinen Körper ein. Meine Beine fühlten sich plötzlich ganz schwach an. Ich hatte Mühe, nicht einzuknicken. Eine große Traurigkeit überwältigte mich und ich musste weinen. Es gab so viele Opfer – im Sinne von Leidtragenden – in diesem Krieg. Aber es wurden auch viele Opfer gebracht. Diese Opfer wollten endlich angenommen werden.
Die Schwere zog mich nach vorne und nach unten. Ich musste meine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht nach vorne zu kippen. Ich fragte mich, was denn gegen diese Schwere helfen würde, die wie ein Mühlstein um meinen Hals hing?
Ein Schmetterling flog vorbei, Safira pfurzte. Ich lächelte und dachte:
„Ich darf das loslassen, was nicht zu mir gehört!“ Doch sofort wurde ich wieder ernst:
„Darf ich das?“
Meine Beine fühlten sich nun wieder stabil an und ich hatte den Impuls, zu gehen. In Zickzacklinien bewegte ich mich auf Windschwester zu. Es fühlte sich wie ein langsamer, zögernd begonnener Tanz an. Ich spürte die Sonne auf meiner Haut, hörte das Rauschen des Flusses und das Singen der Vögel und dachte:
„Darf ich das? Tanzen ist doch ein Ausdruck von Lebensfreude. Darf ich tanzen mit dem Wissen um all die Opfer?“
Vor Windschwester blieb ich schließlich stehen, sie ‚sagte‘:
„Das Gras ist lecker. Es riecht frisch und schmeckt gut. Was spricht dagegen, zu grasen? Gras ist Nahrung und Nahrung bedeutet Leben! Nimm das Leben wie es kommt – sonst wären all die Opfer umsonst gewesen!“
Während ich mein Erlebnis Nirupa erzählte, stellte sich Safira hinter mich, bog ihren Kopf über meine Schulter, leckte und kaute und schließlich küsste sie mich ganz zart. Sie tat alles, um mich zum Lachen zu bringen, denn Lachen ist Ausdruck der Lebensfreude!!! Als ihr das schließlich gelungen war und ich laut lachte, war sie zufrieden und ging wieder zum Grasen. Beide Pferde hatten mir auf ihre Art und Weise die gleiche Antwort auf meine Frage gegeben.
Später am Tag ging ich mit einer Einzelaufstellung der besonderen Verbindung zwischen meinem Opa und mir auf den Grund. Um den Platz für meinen Opa markieren zu können, suchte ich einen schweren Stein. Danach suchte ich mir den für mich passenden Platz auf dem großen Areal. Ich fand ihn auf einer kleinen Anhöhe, stellte mich dorthin und fühlte mich in meinen Körper ein. Hier stand ich nun, erhöht und sichtbar, und doch eingeengt. Ich konnte meinen Blick nicht heben. Ich starrte auf den Boden zu meinen Füßen. Nirupa fragte mich:
„Ist das der richtige Platz für Dich?“
„Es ist der richtige Platz, aber ich bin nicht würdig, da zu sein. Ich fühle mich schuldig. Schon mein Leben lang trage ich diese Schuld tief in mir.“ Ich seufzte.
Nachdem ich das ausgesprochen hatte, konnte ich meinen Blick heben.
„Ich anerkenne und würdige diesen tiefen Schmerz in mir!“
Ich atmete tief durch und blickte staunend um mich. Ich sah die Sonne und sah wie der Wind die Bäume bewegte.
Nun suchte ich den passenden Platz für meinen Opa, Nirupa legte für mich den Stein in etwa zehn Meter Entfernung hin. Es war die gleiche Entfernung, in der sich der Wolf in meinem Traum gezeigt hatte. Ich blickte auf meinen Opa und plötzlich ‚sah‘ ich auch den Wolf neben ihm stehen. Ich wandte mich den beiden zu und verneigte mich.
„Lieber Opa, ich würdige Deinen Schmerz und Dein Schicksal und das Opfer, das Du gebracht hast.“ Der Wolf setzte sich.
„Lieber Opa, ich nehme das Opfer, das Du auch für mich gebracht hast, an. Ich gebe dem Schmerz einen Platz in meinem Herzen, denn es ist groß genug.“ Der Wolf legte sich auf die Erde.
„Lieber Opa, Dir zu Ehren erlaube ich mir jetzt, mich am Leben zu freuen! Von nun an kann ich meinen eigenen Weg voll Freude gehen.“ Der Wolf an der Seite meines Großvaters ringelte sich ein und steckte seine Schnauze unter seinen Schwanz.
Ein Schmetterling tauchte urplötzlich bei meinem Opa auf und flog direkt auf mich zu. Er streifte mich, drehte eine kleine Runde, kam wieder zu mir und flog zurück zu meinem Opa. Schmetterlinge sind ein wunderbares Symbol für Transformation, für Veränderung und ich nahm dieses Zeichen dankbar an. Nun wusste ich, ich kann mich umsehen, kann überall hin gehen. Ich fühlte mich frei, mein Leben neu zu entdecken.
Ich drehte mich um und blickte direkt in die Sonne. Die Sonne ist Leben. Ich machte mich auf den Weg, meine Schritte führten mich unbewusst zu Windschwester. Wir blickten uns lange an, sie leckte ihr Maul und kaute ab. Sie gab mir ebenfalls ihren Segen und ich dankte ihr.
Nun liest sich der Ablauf dieser Aufstellung in wenigen Minuten, tatsächlich jedoch war es ein tiefer seelischer Prozess, der viel länger dauerte. Nirupa unterstützte mich, indem sie mir Lösungssätze vorschlug und ich fühlte nach, ob diese in mir eine Zustimmung erzeugten oder ob es eine andere Formulierung brauchte. Die Reaktion des Wolfes und des Pferdes war für mich eine zusätzliche Bestätigung.
Am nächsten Morgen fuhr ich heim. Als ich den Schatten des Tales hinter mir gelassen hatte, leuchtete die soeben aufgegangene Sonne zu meiner Linken. Ich war neugierig, ob der Vollmond auch zu sehen wäre und blickte nach rechts. Da war er in all seiner silbernen Pracht. Da traf mich die Erkenntnis mit voller Wucht:
„Ich bin mitten im Leben!“ – Mitten zwischen Sonne und Mond, den Gestirnen, denen das Leben hier auf der Erde untergeordnet ist. Die Gestirne, die den Tag und die Nacht beherrschen, die für Licht und Schatten sorgen, die in unverwechselbarer Verbindung zueinander stehen.
„Ich bin mitten im Leben!“ – Ich darf diesen Raum dazwischen nutzen, ich darf das ganze Universum mit meiner Lebenskraft füllen.
Dass dieses kraftvolle Erlebnis auch körperlich noch weiterwirkte erfuhr ich noch am gleichen Abend daheim. Ich fror. Ich fror so sehr, dass mir die Zähne klapperten. Es schüttelte mich und ich hatte Mühe, mich mit warmen Socken und drei Decken zu erwärmen. Bald war mir klar, dass dieses Frieren nichts mit den Temperaturen in der Wohnung zu tun hatte. Ich kannte dieses Frieren aus eigener Erfahrung und von meinen Shiatsu-Klienten während oder nach Behandlungen. Da tritt es auf, wenn sich eine tiefsitzende Blockade (körperlich oder seelisch) löst. Wenn auf einer sehr tiefen Ebene Entspannung stattfindet. Ich hatte mit meiner Aufstellung so eine Veränderung bewirkt und mein Körper befreite sich nun durch das Frieren von den Altlasten.
Obwohl ich um die Zusammenhänge von Körper, Geist und Seele weiß und offen bin für Botschaften aus der Natur oder der Tierwelt, staune ich doch immer wieder über das perfekte Zusammenspiel, wenn Menschen – in dem Fall ich – bereit sind, sich zu verändern. Das Leben, das Göttliche, das ganze Universum unterstützt uns dabei, uns weiter zu entwickeln.
Nirupa, meine Pferde und ich sind bereit, Dir diesen Raum, in dem Heilung stattfinden kann, zu öffnen. Aus unserer Erfahrung heraus können wir Dir verschiedene Zugänge zu Deinen traumatischen Erlebnissen oder zu den Auswirkungen der traumatischen Erlebnisse Deiner Eltern oder Großeltern anbieten, nicht jede Methode ist schließlich für jeden geeignet. Selbst wenn Du nicht bereit bist, Dein Thema in einer Gruppe öffentlich zu machen, so eröffnet Dir doch eine empathische Beteiligung an den Aufstellungen anderen Teilnehmer neue Möglichkeiten im Umgang mit Deinem eigenen Thema.