„Was tust du eigentlich mit den Leuten und den Pferden, wenn sie zu dir kommen?“, fragte mich kürzlich eine Zwölfjährige, auf einem Hof, wo ich einen Workshop in der Persönlichkeitsentwicklung mit Pferden abhielt.
„Ich bringe ihnen das bei, was die Indianer konnten“, antwortete ich.
„Hmmm – und was konnten die?“ Ihre Augen wurden groß.
„Alle Tiere waren ihre Brüder und Schwestern. Sie liebten sie einfach.“
„Ich liebe Arturo auch.“ Arturo war ihr Pflegepferd. „Aber das kann man doch nicht lernen.“
„Nein, kann man nicht. Aber man kann lernen, es nicht zu vergessen.“

Liebe ist die Natur alles Lebendigen und die Quelle aller Heilung. Aber manchmal ist es verdammt schwer, sich daran zu erinnern. Besonders wenn ein Pferd krank ist.

Im Grunde wissen wir alles, was es zur Heilung unseres Pferdes braucht, seit wir Winnetou gelesen haben. Aber auch ohne Winnetou kennen wir die Weisheit unseres Herzens. Was die Pferde krank macht, ist dasselbe, was uns krank macht. Dass wir es immer wieder vergessen. Aber die Weisheit unseres Indianerherzens kehrt zu uns zurück und wir lernen, uns zu erinnern an die Liebe. Und die Pferde sind unsere größten Lehrer dabei.
Es gibt nur eine Art der Heilung, das weiß inzwischen auch die Wissenschaft: Selbstheilung. Das gilt für jedes Wesen, ob Mensch, Pferd oder Schmetterling. Aber wie geht das mit der Selbstheilung? Bei Pferden? Hier kommt die Indianerweisheit ins Spiel. Wir existieren nicht unabhängig von anderen. Wir sind alle miteinander verbunden, Brüder und Schwestern. Wenn wir krank sind, sind wir das nicht unabhängig von anderen, wir sind auch nicht gesund unabhängig von anderen. Wie eng wir tatsächlich verwoben sind auf energetische Weise in Krankheit oder Gesundheit, zeigen viele Geschichten von Pferdekrankheiten und deren Genesung.

Eine dieser Geschichten ist die von Marlies und ihrer Stute Rabanna. Meist geht es Rabanna gut. Aber einmal im Jahr ruft mich Marlies an und sagt: Es ist wieder so weit, Ulrike. Diesmal lahmt sie, aber nur auf dem Platz. Wenn ich mit ihr im Wald spazieren gehe, ist alles gut. Ich helfe Marlies dann, zu erkennen, dass sie mal wieder zu tief in ihrer Arbeit steckt und sich selbst vergessen hat. Rabanna zeigt ihr, dass sie sich mehr Zeit nehmen muss, um zu sich zu kommen, weil sie sonst selbst ernsthaft krank werden würde. Das weiß Marlies zwar alles, aber nur ihr Kopf weiß es und ihr Herz muss sich wieder daran erinnern. Dabei helfe ich ihr. Meist erhalte ich eine Woche später eine E-Mail: Alles gut!

Eine andere Geschichte ist die des Hengstes Absalom, der an einer unheilbaren Hautkrankheit litt. Sie begann im Augenblick, in dem er von einem neuen Besitzer übernommen wurde. Zwei Jahre später trennte der Besitzer sich von seiner Frau, nachdem er herausgefunden hatte, dass sie schon seit drei Jahren einen Geliebten hatte. Die Hautkrankheit verschwand innerhalb weniger Tage.

Oder die Geschichte von Donato, der seiner Besitzerin im Traum erschien und sich von ihr verabschiedete. Seit Wochen haderte sie damit, ihn einschläfern zu lassen, weil er kaum mehr stehen konnte. Es fiel ihr so schwer, ihn gehen zu lassen. Nach dem Traum hatte sie den Mut und rief den Tierarzt an. Während sie auf ihn wartete, legte sich Donato hin und entschlief friedlich. Renate konnte sich in Frieden von ihm verabschieden.

All diese Geschichten sind so berührend, weil sie zeigen, dass Pferde, die nicht laut mit uns sprechen können, dennoch Wege finden, uns zu erreichen mit ihren Botschaften. Und dass diese Botschaften immer eine tiefe Wahrheit besitzen für beide, das Pferd und den Menschen. Sie zeigen uns, was unser Indianerherz schon immer wusste, dass wir alle eng miteinander verbunden sind und tief mitfühlen mit dem Glück und dem Schmerz unserer Brüder und Schwestern.

Wenn wir Selbstheilung verstehen wollen, müssen wir einige tiefe Überzeugungen verändern.

Wir müssen Voraussetzungen unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes nicht nur erweitern, sondern auch umkehren. Das ist eine Herausforderung für uns. Im Folgenden finden Sie neun Grundlagen, auf denen Selbstheilung basiert:

1. Alles geht aus von der Beziehung.
Wir existieren nicht unabhängig von anderen. Wir sind energetisch, physisch, emotional und spirituell aufs engste verbunden mit unserer Umwelt und allen, mit denen wir das Leben auf dem Planeten Erde teilen. Das gilt besonders für Herdentiere wie Pferde, deren Überleben von der Verbundenheit in der Herde abhängt.

2. Die Natur heilt sich stets selbst.
Körper und Seele sind immer bestrebt, die größtmögliche Harmonie und Gesundheit zu finden. Auch wenn das manchmal Tod bedeutet. Krankheit ist „Gesundheit“, sagt man, das heißt, Krankheit ist ein Versuch eine Lösung zu finden für eine Disharmonie. Erst wenn wir Krankheit nicht als etwas zu Bekämpfendes, sondern als einen gesunden Impuls verstehen, können wir die Haltung finden, aus der heraus Heilung möglich ist.

3. Das Bewusstsein der Pferde ist dem der Menschen überlegen.
Die energetische Verfassung der Pferde ist der des Menschen überlegen. In der Regel heilt das Pferd den Menschen und nicht umgekehrt. Die Krankheit des Pferdes ist oft ein Ausdruck einer Disharmonie im Menschen.

4. Krankheit ist etwas Ganzheitliches und Soziales.
Krankheit ist nicht nur ein körperlicher Vorgang. Krankheit ist ein Ausdruck einer ganzheitlichen Verfassung und ein Ausdruck einer Beziehung. Pferde drücken dies unmittelbar auf körperlicher Ebene aus. Die Ursachen findet sich jedoch häufig auf der emotionalen oder Seelenebene. Das zeigt uns die älteste bekannte Heilart: das schamanische Heilen. Heilung findet immer innerhalb einer Beziehung statt, in der beide Beteiligte ganz füreinander da sind. Wer Heiler und wer Geheilter ist, kann sich in diesem Prozess überraschend umkehren. Oft sind es beide. Eines aber ist sicher: Nur die Liebe, die vollkommene, urteilsfreie Präsenz, heilt.

5. Heilung ist subjektiv nicht objektiv.
Selbstheilung ist ein natürlicher Impuls. Ein Arzt, Therapeut oder Heiler unterstützt, indem er Blockaden der Selbstheilungsenergie bewusst macht. Oft wird das Pferd gesund, wenn der Mensch einen inneren Konflikt gelöst hat oder wenn der Mensch das Pferd sieht in seinem Bemühen, eine Lösung für die Beziehung zu finden. Das Pferd nimmt Anteil am inneren Konflikt eines Menschen, weil das Pferd jede Information, die aus dem Herdenverband kommt, (in dem Fall sind Pferd und Mensch eine Herde) als Information versteht, die seinem Überleben dient und weil es bestrebt ist, Harmonie in der Herde herzustellen. Was nötig ist, um Heilung und Harmonie zu finden, hängt von der Persönlichkeit des Pferdes und des Menschen ab. Was den einen gesund macht, kann den anderen krank machen. Es ist wie beim Essen: Jedem „schmeckt“ etwas anderes. Es geht darum, eine Lösung zu finden, die beide Seiten zufriedenstellt, wie auch immer die aussehen mag.

6. Man kann mit Krankheiten gut leben.
Auch wenn ein Pferd oder ein Mensch chronisch oder unheilbar krank sind, kann ihnen die Liebe, die sie teilen, so viel Erfüllung schenken, dass die Krankheit in den Hintergrund tritt. Oft ist eine Krankheit ein großer Lehrer in Hingabe, Liebe und Akzeptanz.

7. Krankheit und Gesundheit sind wertfrei.
Für Pferde sind Krankheiten weder gut noch schlecht. Sie sind was sie sind, der zutreffende Ausdruck der gegenwärtigen Verfassung ihrer selbst und ihrer Umwelt oder etwas, das man akzeptiert. Heilung ist ein offener Prozess, der unabhängig ist vom Ergebnis. Ein Prozess, der in aller Freiheit geschieht, der erlaubt, dass geschieht, was geschehen soll. Dies ist wohl die größte Herausforderung für eine ziel- und erfolgsorientierte Gesellschaft. Im Besonderen ist dies eine Herausforderung für alle, die professionell im Bereich der Heilung von Pferden arbeiten, also Tierärzte, Tierheilpraktiker, Osteopathen  und ändere therapeutische Berufe. Sie stehen unter dem Druck, Ergebnisse zu liefern. Jeder jedoch, der die Kraft der ganzheitlichen Heilung kennengelernt hat und genügend Vertrauen hat, ihr zu folgen, hat auch erlebt, dass die Ergebnisse, die unter diesen Voraussetzungen geschehen, um vieles nachhaltiger und zuverlässiger sind als jede rein zielorientierte und rein körperliche Behandlung.

8. Pferde sind nicht nur Herdentiere, die ihr Überleben sichern, sondern zutiefst liebende Wesen.
Pferde „wissen“, dass Liebe die stärkste Quelle von Kraft, Erfüllung und Heilung ist. Sie wissen es nicht nur, sie verkörpern es. Sie laden uns stets in die Liebe ein und antworten unmittelbar auf unsere Liebe, wenn wir sie in purer Form verschenken.

9. Um die Krankheit eines Pferdes zu verstehen, muss man seine soziale Situation anschauen, die Beziehungen, von denen es sich emotional nährt. 
Was ein Pferd emotional nährt oder was ein Pferd als Lebensaufgabe gewählt hat, entspricht nicht immer unseren Vorstellungen, von dem was wir, unserem gegenwärtigen Wissensstand entsprechend, für richtig halten. Ich kannte ein Pferd, das jahrelang der treue Gefährte eines schwierigen Menschen war, schwierig, weil dieser Mensch unter Depressionen litt und viel Ärger mit sich herumtrug. Auch das Pferd wirkte immer ein wenig deprimiert und viele andere Einsteller am Hof drückten ihr Mitleid mit dem Pferd aus und redeten darüber, dass dieser Mann das Pferd abgeben sollte. Als der Mann starb, erwarteten viele, dass es dem Pferd jetzt besser gehen würde. Aber es starb wenige Wochen später.

Heilung und Tiermedizin können sich sehr gut ergänzen.

Wovon ich hier schreibe, ist eine Kraft jenseits der Medikamente, Therapien und Heilmethoden. Das heißt nicht, dass diese falsch oder wertlos sind. Es geht nur darum, die Situation und das emotionale Umfeld eines Pferdes mit einzubeziehen, wenn man die Krankheit eines Pferdes betrachtet. Ohne Verbindung, ohne Liebe wird ein Pferd die Heilung nur schwer annehmen können, vielleicht vorübergehend, aber bald wir es ein neues Symptom entwickeln. Denn die Ausrichtung des Pferdes am Herdenverband ist sein erstes Anliegen. Wenn ein Pferd eng mit dem Menschen verbunden lebt und wenig Kontakt zu anderen Pferden hat, ist der Mensch sein wichtigstes Herdenmitglied. Dies ist die Situation vieler Pferde heute. Deshalb ist es wichtig, bei der Krankheit des Pferdes den Menschen und die Beziehung zu seinem Pferd mit einzubeziehen. Gesundheit und Krankheit von Mensch und Pferd hängen dann eng voneinander ab.

Pferde sind Lehrer der Liebe

Wir stehen vor einer großen Herausforderung, denn was die Pferde uns am meisten lehren, ist die Fähigkeit zu lieben. Sie bieten uns ihre Liebe ununterbrochen an und wenn wir sie nicht annehmen, weil wir sie nicht wahrnehmen oder weil wir verletzt wurden und nicht mehr zu lieben wagen, frustrieren wir die Pferde und sie geben schließlich auf. Unerwiderte Liebe macht uns krank, nicht nur uns Menschen, auch die Pferde. Wenn wir dann mit Medikamenten kommen und Therapien, aber ohne Liebe, zieht das Pferd oft die Krankheit vor, denn in der Krankheit liegt Wahrheit – und Wahrheit heilt.

Was in der Heilung von Pferden berührt wird, sind die großen Themen unseres Seins auf der Erde: Liebe, Wahrheit, Akzeptanz, Urteilslosigkeit, Gemeinschaft und die Kraft der Seele. Vielleicht erdrücken uns so große Anforderungen, weil wir nicht gelernt haben mit ihnen umzugehen, weil sie uns zu ungreifbar erscheinen. Zu ungreifbar im Vergleich mit einer Diagnose oder einem Medikament, das uns der Tierarzt in die Hand drückt. Weil sie uns verletzbar machen. Weil wir, wenn wir akzeptieren, dass wir Teil der Krankheit unseres Pferdes sind, Schuld empfinden und Ohnmacht, auch wenn das nur eine menschliche Interpretation ist. Wir haben nicht gelernt, Zugang zu unserer eigenen Heilkraft, unserer Liebe und unserer Verbundenheit zu finden. Aber das sollte uns nicht abhalten, es zu versuchen. Wir können es lernen und es liegt eine große Chance darin für uns. Denn Pferde öffnen in uns Gefühle, nach denen wir uns sehnen, die uns nähren und stark machen. Und dadurch machen wir auch unsere Pferde stark.

Wie können wir lernen, die Liebe der Pferde anzunehmen und mit ihnen zu wachsen?

Durch Theorie ist das, was wir hier brauchen, nicht zugänglich, sondern nur durch Erfahrung. Theorie kann uns dann helfen, zu verstehen, was uns passiert ist mit unserem Pferd. Die Erfahrungen als Theorie darzustellen, mutet denen, die die Erfahrung nicht gemacht haben, oft seltsam und unverständlich an. Wir können diese Erfahrungen nicht einordnen in unserem gewohnten Erfahrungshorizont. Wir haben uns zu weit entfernt von der Weisheit und Intelligenz der Natur, nicht nur unserer Pferde, sondern auch der Natur in uns. Viele Pferdemenschen spüren aber, dass da mehr in ihrem Pferd steckt als nur ein Tier, das man trainiert oder mit dem man schöne Ausritte macht. Ich möchte Sie ermuntern Ihren Gefühlen zu vertrauen, Ihrer Wahrnehmung, Ihrer Intuition und Ihrem Pferd, und sich nicht beirren zu lassen von den Meinungen anderer. Machen Sie Erfahrungen und seien Sie offen für das, was Ihr Pferd Ihnen sagen möchte, auch wenn es keine menschliche Sprache spricht. Die Sprache des Herzens ist universell, nicht nur unter Menschen, sondern unter allen Brüdern und Schwestern auf der Erde. Hier beginnt wahre Heilung.